extract / Herwig Steiner (1956L), Kunst der Attrappe, 2019  |  20 Rahmenwechsel

Art can cause perplexity, and that would be quite an appropriate experience. Every effort to understand is abbreviation and completion. Anyone who expects a kind of operating manual has understood nothing.

Art, constrained by the prevailing ideologies, is at present rarely still visible. It is necessary to see art again as an independent concept of the mind. The terms art and freedom are at the center. Only if art possesses the inherent qualities that identify it as such would it be able to assert itself against society’s dominant narratives. And only if art does not first succeed in a social process of determination, is the idea of its freedom conceivable and thereby concomitantly, the possibility of an art Attrappe (entrapment / simulacrum).
In this field of tension, arising from a claim to autonomy versus expectations of value-reproduction, the stagings and frame changes begin.

Should one pursue the concept of the Attrappe (entrapment / simulacrum), provided the illusions are not dissolved, a reversal of traditional subject-object relations applies. The professional audience does not describe art objects, as it thinks it does (the entrapments are figured in merely as catalysts); depicted instead are conventional referential functions, the arbitrary fulfillment of expectations using each of the available linguistic capacities. This lack of self-reflexivity is decisive. It abolishes the traditional beholder position (as a meta-level). The exhibition visitor becomes a functional part of a staging. Textual “interpretations” that arose are traces of theatrical events. In them the conventional order is reproduced.

Thus, the framework is switched: supposed art exhibitions enclose the unsuspecting actors (viewers) within performances of dominant power relations and the therewith associated convictions. A theatrical game. It depicts and repeals.
“Convention,[…]. As the time-based ‘general,’ sees itself, through us, in the viewing of art.”

That’s right: Something is either an artwork or it isn’t. Nothing is in between. Nonetheless, there are many objects (incidentally, not only those that I have consciously constructed), objects that at first glance (want to) appear to be artworks, yet upon closer observation, are not!
Are these levels so difficult to imagine? Every theatrical performance works in this way. There, you also do not insist that every backdrop is an autonomous artwork, yet the staging can also be art!
Art of the Attrappe (entrapment / simulacrum) reminds us all of the basis of our orientation; if in the end, belief is the basis of every expression, and thereby also that of art, regardless of its persuasion, its opposition is doubt, be that of the stability of the encoded. Thus, the art of the Attrappe is one that was born entirely from its exclusion.

English interpretation / Charlotte Eckler / Lisa Rosenblatt / Herwig Steiner (1956L) / 2021

Kunst kann Ratlosigkeit hervorrufen. Das wäre durchaus eine angemessene Erfahrung. Jedes Verstehenwollen ist Verkürzung und Komplettieren.
Wer eine Art Bedienungsanleitung erwartet, hat gar nichts verstanden.

Kunst ist, eingezwängt von den vorherrschenden Ideologien, gegenwärtig kaum noch sichtbar. Es ist notwendig, sie wieder als unabhängige geistige Konzeption zu sehen. Die Begriffe, Kunst und Freiheit, stehen im Mittelpunkt. Nur dann, wenn Kunst ihr inhärente Eigenschaften besitzt, die sie als solche auszeichnen, wäre es ihr möglich, sich gegen dominierende Erzählungen einer Gesellschaft zu behaupten. Und nur dann, wenn Kunst eben nicht erst in einem sozialen Bestimmungsprozess sich gewinnt, ist die Idee ihrer Freiheit und damit einhergehend, der Möglichkeit einer Kunstattrappe vorstellbar.
In diesem daraus sich ergebenden Spannungsfeld von Autonomieanspruch versus wertereproduzierender Erwartung, setzen die Inszenierungen und Rahmenwechsel ein.

Folgt man der Konzeption der Attrappe, so gilt, sofern die Attrappen nicht aufgelöst wurden, eine Verkehrung traditioneller Subjekt–Objekt-Verhältnisse. Das Fachpublikum beschreibt also nicht, so wie es vermeint zu tun, Kunstobjekte, (die Attrappen figurieren lediglich als Katalysatoren), sondern es werden die konventionellen Verweisfunktionen, die abiträre Erfüllung der Erwartungen aus dem jeweilig verfügbaren Sprachvermögen abgebildet. Dieser Mangel an Selbstreflexivität ist entscheidend. Er hebt die traditionelle Betrachterposition (als Metaebene) auf. Die Ausstellungsbesucher werden zum funktionalen Teil einer Inszenierung. Jene dabei entstandenen textuellen „Interpretationen“ sind Spuren theatralischer Ereignisse. In ihnen die Reproduzenten konventionaler Ordnung.
Der Rahmen wird also gewechselt: Vermeintliche Kunstausstellungen umschließen die ahnungslosen Akteure zu Aufführungen der vorherrschenden Machtverhältnisse und der damit verbundenen Überzeugungen. Ein Schauspiel. Es stellt dar und hebt auf.
„Konvention,… als das zeitbedingte „Allgemeine“, sieht sich selbst, durch uns hindurch, in Anbetracht von Kunst.“

Es ist richtig: Entweder ist etwas ein Kunstwerk oder es ist keines. Dazwischen gibt es nichts.
Trotzdem gibt es viele (übrigens nicht nur jene bewusst von mir konstruierten) Objekte, die im ersten Anschein als Kunstwerke erscheinen (wollen), jedoch näher besehen keine sind! Sind diese Ebenen so schwer vorzustellen? Jede Theateraufführung funktioniert so. Dort bestehst du auch nicht darauf, dass jede Kulisse ein autonomes Kunstwerk ist, und doch kann die Inszenierung Kunst sein!
Kunst der Attrappe erinnert alle an die Grundlagen ihrer Orientierung. Wenn im Letzten Glaube Grundlage jedes Ausdrucks ist und damit auch jener der Kunst, ganz gleich welcher Überzeugung er angehört, ist seine Opposition der Zweifel und sei es der an die Festigkeit des Kodierten. So ist die Kunst der Attrappe eine, die gänzlich aus ihrer Ausschließung geboren wurde.

bearbeiteter Ausschnitt / Kunst der Attrappe / (1985-2017 © Herwig Steiner 1956L)

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