Herwig Steiner
Einige Worte über Pre-Prints

A Few Words about Pre-Prints

Entsprechend den gegenwärtigen medialen Erfahrungen als unauflösbare Verschränkung von Bild und Text wird hier eine Vergleichung und reflexive Durchdringung optischer wie textueller Persuasionsstrukturen versucht, womit zugleich dem bedeutenden kreativen und bedeutungssetzenden Aspekt des Textes innerhalb der kulturellen Produktion Rechnung getragen werden soll.

Die computergenerierten Druckmontagen stellen die Frage nach dem Ort und den Konstruktionsprinzipien von Kunst und ihrer Interpretation. Dabei wird versucht, innerhalb der künstlerischen Produktion die kunsthistorisch-konventionale Präformation des Publikums miteinzubeziehen. Die traditionelle Kunstreflexion und das Gebäude der Theoriebildung werden ästhetisches Material.

Theoretische Grundlagen zu dieser Konzeption lieferten eigene Arbeiten aus den frühen 1990er-Jahren, die in ihrer damit verbundenen subversiven Praxis den Begriff der „Attrappe“ in den Bereich der Kunst einführten. Ziel war, die möglichst „unverdeckte“ Gewinnung von Reflexionsfunktion und Zuordnungstexten sowie ihre fiktionale Struktur auf einer ästhetischen Ebene zu manifestieren.

Jetzt konstellieren sich die hierfür verwendeten Texte, die entweder für den Künstler verfasst oder von AutorInnen aus eigenen Texten ausgewählt und gewidmet wurden, zu thematischen Zentren, werden monumentalisiert und somit exponiert – das ästhetische Feld kann nicht verlassen werden. Die kritische Analyse der Wahrnehmungsverarbeitung und ihre Konstruktionsstrukturen sowie Überlegungen zu Subjektbezug und Funktion der Sinngenerierung stellen eine theoretische Klammer für die gesamte Arbeit dar.

In diesem Versuch einer historiografischen Weitwinkelaufnahme der dynamischen Bedeutungsströme – im Fluss der Zeit – visualisieren die einzelnen Texte so etwas wie poetische Kraft, zeigen aber auch ihre immer wieder verdrängte ästhetische Setzungsfunktion als Konstitutiv für die bildende Kunst seit der Moderne. So können die Arbeiten von den BetrachterInnen auf verschiedenen Ebenen „gelesen“, aktiviert werden und stellen gleichzeitig mehrere unterschiedliche kognitive Prozesse dar – lassen ein interaktives Verhältnis zwischen Sehen/Lesen/Vorstellen/Erinnern/Neubeginn, also eine kreative Endlosschleife der Interpretation entstehen.

Es erscheinen typografische Strukturen aus der Nachrichten- und Werbewelt, mit komplizierten Inhalten gefüllt; irritierende „Schlagzeilen“, kombiniert mit Flächen aus dicht und klein gesetzten Textmaterialien – alles gefügt nach strengen bildkompositorischen Prinzipien.

Gleichzeitig ist jedoch das zu Grunde liegende Collage- und „Posterprinzip“ spürbar, was auf die prekären Konstruktionsstrukturen von „Wirklichkeitsbeschreibungen“ verweist.

So trägt zum Beispiel eine Textarbeit aus dem Frühjahr 1997 die Headline „Verkennungsfunktion“, was auf den Verlust der Möglichkeit einer Wirklichkeitsbeschreibung hinweist, unabhängig von der diese konstituierenden Machtfaktoren. Hier zeigt sich das Abstrahlen dieser ästhetischen Arbeiten auf das Politische.

„Pre-Print“ bezeichnet somit nicht nur vordergründig den computergenerierten „Vor-Druck“ bzw. Entwurf, also den Vorschub zu einem vielleicht nicht mehr erreichbaren „Endgültigen“, sondern erscheint auch als Wortspiel, das sich auf das Vorgeprägte, die Präformationen, bezieht, deren Ausuferungen diese Textbilder hintergründig erschließen.

Herwig Steiner, Einige Worte über Pre-Prints, in : Andreas Manak (Hg), Herwig Steiner, Gesetz und Verbrechen, Passagenverlag, Wien 2006

Commensurate with contemporary media experience as an inextricable interlacing of text and image, the project attempts a comparison and reflexive exploration of optical and textual persuasive structures, thereby acknowledging the essentially creative and meaning-assigning aspect of text within cultural production.

The computer-generated print collages pose the question of the locus and the constructional principles of art and its interpretation. At the same time, an effort is made to include the conventional art historical preformation of the public in the artistic production. The traditional reflection on art and the structure of theory formation become aesthetic material.

Several works from the early 1990s, which in their associated subversive praxis introduced the term “Attrappe” (decoy/simulacrum) into the area of art, provide the theoretical base for this concept. The aim was an attempted “unhindered extraction” of reflection function and ordering texts, as well as making their fictional structure manifest at an aesthetic level.

The texts, by renowned authors, which have been written specifically for the artist or selected by the authors from their existing texts for the artist’s work, form thematic cores, are monumentalized aesthetically and thus exposed — the aesthetic sphere cannot be left behind. The critical analysis of how our perceptions are processed and their constructional structures as well as reflections about the reference to the subject and the function of generating meaning acts as a kind of theoretical bracket for the entire work.

In this attempt at a historiographic wide-angle picture of the dynamic streams of meaning, in the flux of time, the individual texts visualize something like a poetic force — while at the same time revealing their aesthetic function as constituent for the visual arts since modernism, which is so often suppressed.

Thus, beholders can “read” the works on several different levels and activate them. The works represent several different cognitive processes at the same time, thus giving rise to interactive relationships between seeing/reading/imagining/remembering and beginning anew, a creative endless loop of interpretation.

Typographical structures from the world of communication and advertising are filled with complex abstract content, irritating “headlines” are combined with areas of densely printed small text material, all compiled according to strict compositional principles. At the same time, however, the underlying collage and “poster principle” are perceptible, a fact that refers to the precarious construction structures of “descriptions of reality.”

A textual picture created in spring 1997, for example, is entitled Function of Misjudgment, which refers to the loss of the possibility of describing reality irrespective of the power factors that constitute it. This shows the relevance of these aesthetic works for the political sphere.

“Pre-Print” is thus not only a superficial reference to the computer generated design before printing, i.e., the preliminary stage to the “definite one” that can perhaps not be achieved, but it also appears as a play on words that refers to the pre-embossed, preformations which enigmatically allow us access to these textual paintings.

Translated by Dream Coordination Office (Lisa Rosenblatt und Charlotte Eckler)

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