Sabine Schaschl
Bedeutungsströme im Fluß der Zeit

Der Text ist kein „Kommentar“ zu den Bildern. Die Bilder sind keine „Illustrationen“ zum Text.
(Roland Barthes)

I.
Angesichts der gegenwärtigen medialen Entwicklungstendenzen, welche die Bilderflut mit einer Textflut ergänzen, erscheint das Verhältnis von Bild und Text nach wie vor durch „Kämpfe der Selbstbehauptung“ und gleichzeitig durch komplexe Verschränkungssituationen charakterisiert, in denen Bild und Text in die Spähre des jeweils anderen eindringen oder zum jeweils anderen mutieren. Herwig Steiner setzt in seinen neuesten Arbeiten „Pre-Prints“, die im April und Mai dieses Jahres in der Kunsthalle Steyr präsentiert wurden, an jenem Punkt der Durchdringung optischer und textueller „Persuasionsstrukturen“ an und unterzieht deren Bedeutungs- und Strukturebenen einer minutiösen Dekonstruktion.

II.
Steiners Grundlage für seine PC-generierten Drucke sind Texte ausgewählter, namhafter AutorInnen, die entweder direkt für den Künstler geschrieben oder ihm einen Text gewidmet haben. Der Kunstbetrieb, der nebst den Kunsterzeugnissen auch die geschriebenen Bestätigungen approbierter Kritiker und Journalisten einfordert, präsentiert sich dabei sowohl als Verklammerer von Bild und Textsystemen als auch als Motor für die beständige Produktion weiterer Textmaterialien. Diskursproduktionen zu Kunst, Kultur und Politischem, welche die Basis von „Pre-Prints“ bilden, sind dabei nicht per se, wie dies Barthes für den Text postuliert, frei von Kommentaren zum Gesehenen, vielmehr wollen diese die autonom gewordene Kunst einem Prozeß der Deutungshermeneutik unterziehen. Die Kunstwerke können nicht für sich selbst sprechen, meint Siegfried J. Schmidt und nur das, was mittels Kommunikation transformiert und anschlußfähig durchgesetzt werden kann, zählt im Kunstsystem. Das Kunstsystem selbst hingegen ‚zählt’ im Wettstreit der Systeme innerhalb der Gesellschaft auch nur, soweit es sich in Kommunikationen behauptet. Herwig Steiner greift das Kommunikationssystem selbst auf und führt es über die Kunst wieder zu ihrem Ausgangspunkt zurück. Gruppiert nach Themenschwerpunkten, welche durchaus auch Kontroverses beinhalten können, finden einzelne Wörter, Sätze und Textpassagen Eingang in ein übergeordnetes Bildkonzept. Vergleichbar mit der menschlichen Sehleistung, welche Wahrgenommenes aus Einzelbilder zu einem Gesamten zusammensetzt, gruppiert auch Steiner die einzelnen Foliendrucke (Museumsversion) oder die Fotopapierdrucke („Pin-up-Version“ oder „Highglossy-Version“) zu einem monumentalisierten Textbild. Verschränkt mit Farbe und unter Beachtung strenger kompositorischer Überlegungen werden die einzelnen textuellen Bild-Bausteine ausgedruckt, im Collage-Prinzip die Bildkomposition aufgebaut, das Bildhafte anhand einer Maquette überprüft und schliesslich in die digitale Existenz rücküberführt. In diesem selbstenthüllenden Konstruktionsprozess findet sich auch die Brücke zu Steiners früheren collagierten, geometrisch-abstrakten, gemalten Bildobjekten.

III.
„Pre-Prints“ bezeichnen nicht nur den computergenerierten „Vor-druck“, Entwurf oder den Vorschub zu einem vielleicht nicht mehr erreichbaren „Endgültigen“, wie Steiner darlegt, sondern bezieht sich auch auf das Vorgeformte aller Informationen – ob visuell oder textuell. „Pre-Prints“ lesen sich wie Scans durch die Tendenzen und Aktualitäten der Kunstkritik, welche Urteile fällen, Richtungen ausmachen und neue Begriffe für das Gesehene einführen. Die Setzung der Textbilder kombiniert die Schlagzeilenästhetik mit der Verdichtung und Verschleierung von Kleingedrucktem. Ästhetische Wortmonumentalisierungen, wie beispielsweise die Headline „Verkennungsfunktion“ verweisen nicht nur auf das Schreiben über Kunst, sondern auf den „Verlust der Möglichkeit einer Wirklichkeitsbeschreibung, die unabhängig von Machtfaktoren wäre, die diese Beschreibung konstitutieren, sowohl aus philosophischer als auch aus medienstruktureller Sicht“ (Steiner). Das Gelesene vermischt sich mit dem Gesehenen und dabei wird der Prozeß des Lesens erst bewußt. Doch weder die Sprache noch das Bild können eine Wahrheit greifen und den RezipientInnen ist kein tatsächliches Heraustreten aus der Gesamtwahrnehmung möglich, denn ihre „Pre-Prints“ sind längst Bestandteil der eigenen Reflexionen.

Sabine Schaschl, Herwig Steiner. Pre-Prints, in: EIKON, Heft 38, Wien 2002

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