Martin Prinzhorn

Kunst im öffentlichen oder halböffentlichen Raum unterscheidet sich ganz grundsätzlich von jener in Museen oder Galerien, also in den geschlossenen Räumen der Kunst. In letztere geht man ja mehr oder weniger freiwillig, setzt sich so auch den Werken freiwillig aus, und gerade die Kunst der letzten hundert Jahre lebt davon, die Besucher damit zu überraschen, was sie dort vorfinden und so ein ganz essenzielles Spiel mit der Frage zu beginnen, was denn überhaupt das Wesen der Kunst sei. Obwohl die Kunst im öffentlichen Raum auch diese Möglichkeit hat, sollte sie doch anderen Regeln folgen, da sie ja eben nicht einen Raum – quasi als Spielwiese – für sich alleine hat, sondern immer in einen Kontext gestellt ist, der einfach nur ein öffentlicher sein kann oder auch ein architektonischer, der aber jedenfalls immer auch über dieses Spiel hinausgeht und eine spezifische Funktion beinhaltet. Dabei sind natürlich genauso wie im Museum immer noch die spielerischen Mittel gefragt, mit denen sie Bedeutung erzeugen oder auch auflösen kann, aber diese Mittel können nicht nur dem Zweck dienen, das Wesen der Kunst zu untersuchen, können also nicht nur als Selbstreferenz interpretiert werden, sondern müssen sich auch an ihren anderen Funktion reiben. Dabei ist der Pfad oft ein schmaler: Nimmt man etwa die Frage der Abstraktion im Zusammenhang mit einem Werk, das an ein historisches Ereignis erinnern oder dieses gemahnen soll, so kann man auf eine sehr ungegenständliche und abstrakte Darstellung erwidern, dies würde keinesfalls den Erlebnissen der Betroffenen entsprechen, die ja sehr konkret gewesen seien. Umgekehrt kann man bei einer konkreten Darstellung darauf verweisen, dass die Kunst in ihrer bloßen Nachbildung von Ereignissen kläglich an den tatsächlich verspürten Erlebnissen scheitern würde. Die Kunst muss also dann alle ihre Mittel und Optionen einsetzen, die sie in den geschlossenen Räumen schon zur Verfügung hat, darf aber nie in einem Ungleichgewicht enden, das zu tatsächlichen Abweichungen von ihrer zusätzlichen Funktion führt. Vor allem aber ist der Modus, in dem eine künstlerische Darstellung geschieht, nie wirklich in einen Modus der außerkünstlerischen Funktion direkt übersetzbar. Was wir etwa innerhalb eines Museums als eine extreme und radikale künstlerische Maßnahme begreifen können, wird draußen wohl kaum ein extremes oder radikales Erlebnis bezeichnen können. Die Kunst der öffentlichen Kunst liegt also vielmehr darin, eine innerkünstlerische Sprache in eine Sprache zu übersetzen, die über ihre öffentliche Funktion reden kann.

Herwig Steiner geht es in seiner gesamten künstlerischen Arbeit darum, auf die Pluralität und die Übersetzbarkeit von Sprache in diesem Sinn hinzuweisen. Nicht darum, nur seine eigene zu entwickeln oder auch nur eine Sprache in den Vordergrund zu stellen, sondern jene Räume auszumachen, an denen sich die verschiedenen Sprachen treffen, oft in gegenseitigem Unverständnis aneinander abprallen, aber eben auch in ihrer Vielfalt neue Bereiche des Verstehens aufmachen können. Die Arbeit mit Texten ist hierbei natürlich essenziell. Es geht aber nicht wie in der klassischen Konzeptkunst darum, die Bilder durch Wort und Text abzulösen oder zu ersetzen (und dabei wieder so etwas wie „die Sprache“ als Primat zu postulieren), sondern immer um das Erzeugen verschiedener Textbilder, deren unterschiedliche Gestaltung und Montage Referenz ihrer potenziellen Pluralität ist. Ganz anders als ein guter Graphiker versucht Steiner nicht, einem Text optimale Bedingungen in dem Sinn zu schaffen, dass dieser ruhig, starr und Verständlichkeit ausstrahlend vor uns steht, er stellt ihn vielmehr in einen schwer auffindbaren und beunruhigenden Kontext, der immer auf die Verletzbarkeit und Instabilität seiner Sprache hinweist. Die Hintergründe mit ihren modernistischen und oft verschwommenen Formen und ihren intensiven Farben deuten eine dynamische Außenwelt in permanenter Bewegung an, in der die Worte eigentlich nie zur Ruhe kommen können. Wir sind also nicht aufgefordert, uns an den Worten festzuhalten, sie als unverrückbare Wahrheiten anzusehen, eher blitzen uns zunächst unzusammenhängende Fragmente entgegen, die wir erst mühsam in einen Gesamtkontext bringen müssen, der sich aber durch diese Arbeit schon wieder relativiert und einen Akt der endgültigen Verankerung unmöglich macht. Wenn wir den Text verstehen, sind wir eigentlich schon über ihn hinaus und weitergetragen in die Möglichkeit einer anderen, vielleicht widersprüchlichen Darstellung.

Für die Anwaltskanzlei Manak & Partner in der Wiener Innenstadt hat Herwig Steiner eine seiner Spracharbeiten mit dem Titel „Not one more execution“ geschaffen. Auf einer transparenten Trennwand mit den Türen zu den einzelnen Büros sind in regelmäßigen Abständen und unterschiedlichen Schriftgrößen Texte zum Thema Todesstrafe in den heutigen Vereinigten Staaten von Amerika versammelt. Die Texte beziehen sich auf Einzelfälle, sind also auch so etwas wie fragmentarische Biographien und in ihnen wiederholen sich kanonisch bestimmte Themen wie die Punkte der Anklage, mögliche Zweifel etc. Man kann sich jetzt zunächst einmal fragen, was das Ganze mit einer Anwaltskanzlei zu tun hat, die mit der Rechtsprechung im Österreich der zweiten Republik zu tun hat. Die Praxis der Todesstrafe, speziell in einem demokratischen Staat, wird ja hierzulande als etwas geradezu Exotisches und über die politischen Grenzen hinweg mit einem fast dominatorischem Ekel betrachtet. Was allerdings hierzulande zu einem derartigen Konsens geführt hat, nämlich die unmittelbare Involviertheit am größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte, wird dabei oft übersehen (dieser Zusammenhang ist von Steiner durch eine eigenständige Arbeit zur Rassengesetzgebung des Naziregimes am selben Ort in behutsamer und durchaus subtiler Art hergestellt). Obwohl wir die amerikanische Todesstrafe und ihre Sprache als etwas Fernes und Fremdes empfinden, ist sie dieses bei näherer Reflexion also gar nicht. Steiners Entscheidung, sie in den Kontext einer hiesigen Anwaltskanzlei zu transponieren, ist also kein brutaler oder provokativer Akt, sondern wiederum Mittel, die Zerbrechlichkeit und Instabilität von Sprache – hier ist es jene des Rechts – zu thematisieren. Die Texte oder Fallstudien selbst sind wiederum nicht nur in einer Sprache geschrieben, sie beste­hen selbst aus den verschiedenartigsten Aspekten, die mit dem Thema in einem Zusammenhang stehen. Die Grausamkeit der Verbrechen, die Probleme des Geschworenensystems und vor allem immer wieder die Zweifel, die in einem krassen Widerspruch zur Endgültigkeit des Verfah­rens stehen, bilden eine bizarr anmutende Montage. Es sind keine Ge­schichten, die einen Anfang oder ein Ende haben, trotz oder gerade we­gen der Endgültigkeit einer Exekution. Genau diesem entspricht die künstlerische Praxis des Herwig Steiner: sich gegen die Unverrückbarkeit des Wortes oder des Gesetzes zu stellen, gegen das Konzept des Monu­ments, das in alle Ewigkeit an seinem Platz stehen will. Somit ist die Ar­beit öffentliche Kunst im besten Sinn, es wird nicht aus einer fixen Posi­tion heraus moralisiert, sondern die Kunst als ein immer offenes Spiel wird in einen Bereich hineingetragen, in dem die Offenheit zwar eine andere, jedoch mindestens ebenso große Bedeutung hat.

Martin Prinzhorn, Herwig Steiner, in Andreas Manak (Hg), Herwig Steiner, Gesetz und Verbrechen, Passagenverlag, Wien 2006

Art in public or semi-public space is fundamentally different from that in museums or galleries, that is, in the self-contained spaces of art. One enters the latter more or less voluntarily, thereby confronting the works of one’s own free will. The past century’s art, in particular, lives from the effect of surprising visitors with what they find there, in order to begin a very fundamental game with the question of art’s essence. Although art in public space also holds this potential, it actually should follow different rules since it doesn’t have its own space, as a playing field, so to speak, but is always placed in a context that can simply be public or also architectural, but one, which, in every case, goes beyond this game and involves a specific function. Just as in the museum, called for here, too, are playful means of generating or dissolving meaning, but these means cannot serve solely to investigate art’s essence, that is, they can not only be interpreted as a self-reference, but instead, must always rub up against their other function. In doing so, the path is often narrow. For example, if we take the question of abstraction in connection with a work that is meant to recall or urge us to remember a historical event, then it is possible to respond to a very non-representational and abstract depiction by saying that it is incapable of corresponding with the experiences of those affected, as these experiences were actually very concrete. On the other hand, it is possible to point out with respect to a concrete depiction, that in reference to the experiences that were actually felt, art is doomed to fail wretchedly in its mere replication of an event. Art must then employ all of the means and options available to it, which it also has in its exclusive, self-contained spaces, but avoid ending in an imbalance that causes actual deviations from its additional function. First and foremost, however, the mode in which an artistic depiction occurs is never really directly translatable to the mode of a non-artistic function. What we grasp as an extreme and radical artistic measure within a museum would scarcely be capable of describing an extreme or radical experience outside of one. The art of public art is, instead, found in translating from an inner-artistic language into a language that can speak about its public function.

Herwig Steiner’s entire artistic œuvre is involved with drawing attention to this sense of language’s plurality and translatability. His intention is not to develop his own language, or to place only one at the forefront, but instead, to ascertain the spaces within which various languages meet. While they often crash into one another in mutual misunderstanding, in their diversity, they also have the ability to open up new realms of understanding. Working with texts here, is, of course, essential. Yet concern is not to remove or replace pictures by means of words and text (and thereby postulate something such as the primacy of “language”) as in classical Conceptual art, but instead, to generate various text images, whose different designs and montages refer to their potential plurality. Entirely contrary to a good graphic artist, Steiner does not attempt to create the optimal conditions for a text that allow it to appear before us, calm, fixed, radiating comprehensibility: instead, he places it in a context that is difficult to find, one which is unsettling, consistently pointing to the fragility and instability of his language. The backgrounds, with their modernist and often blurred forms and intensive colors allude to a dynamic outside world in permanent movement, in which the words can actually never come to rest. Thus, rather than challenging us to hold fast to the words, to see them as unalterable truths; we are first confronted with flashes of disconnected fragments, which we must strive to bring into an overall context that the work then relativizes, making impossible the act of final anchoring. When we understand the text, then we are actually already beyond it, and carried further to the possibility of another, perhaps more contradictory depiction.

Herwig Steiner created one of his text works for the Law Office Manak & Partner in Vienna’s historical city center: “Not one more execution.” Texts on the theme of capital punishment in the United States are gathered at regular intervals and in various size fonts on a transparent partition with doors to the individual offices. The texts refer to individual cases, and therefore also resemble fragmentary biographies; they repeat canonically defined issues, such as, specific charges, probable doubt, etc. The first possible question might be what all of that has to do with a law office involved in the legal matters of Austria’s second republic. The practice of capital punishment, especially in democratic nations, is viewed here with a nearly dominatory revulsion as something almost exotic and beyond political limits. However, often overlooked is what has led to such a consensus in this country, namely, the direct involvement in the greatest crime in human history; Steiner produces this connection with a solitary work on the Nazi regime’s racial laws, placed on the same site in a careful and thoroughly subtle way. Although we find the American death penalty and its language to be something distant and foreign, upon closer reflection, it isn’t at all. Hence, Steiner’s decision to transpose it to the context of a local law office is not a brutal or provocative act, but rather, a means to thematize the fragility and instability of language, in this case, legal language. The texts or case studies themselves are, in turn, not written in one language; they comprise the most diverse aspects connected with the theme. The atrocity of the crime, the problem of the jury system, and, mainly, the recurring doubt that presents a flagrant contradiction to the finality of the case form a bizarre montage. These stories have no beginning and no end, despite or precisely because of the finality of an execution. This is exactly what corresponds with Herwig Steiner’s artistic prac­tice: opposing the inviolability of the word or the law, opposing the concept of a monument that aims to remain in place for all eternity. The work is thus pub­lic art in the best sense; it does not moralize from a fixed position. Instead, art, as a game that remains permanently open, is brought into a realm in which the meaning of openness, while different, is, at least, equally as important.

Translated by Dream Coordination Office (Lisa Rosenblatt und Charlotte Eckler)

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