Oliver Elser
Leuchtendes Glas

Luminous Glass

„Das bunte Glas / Zerstört den Haß“, reimte Paul Scheerbart für seinen Freund, den Architekten Bruno Taut, der mit diesem und anderen Slogans aus der Feder des Dichters den Pavillon der Deutschen Glasindustrie auf der Werkbundausstellung des Jahres 1914 in Köln schmückte: „Farbenglück nur / In der Glaskultur“, „Ohne einen Glaspalast / Ist das Leben eine Last“ und andere mehr sollten als scheinbar mit kindlichem Gemüt aus dem Ärmel geschüttelte Reime dem Beginn eines neuen Zeitalters in der Architektur zu populärer Bodenhaftung verhelfen. Buntes Glas, verbaut an einem knospenförmigen Pavillon, der zugleich an einen riesigen Kristall erinnerte: Da regte sich, wenige Monate vor Ausbruch des ersten Weltkrieges, nicht nur ein neues Architekturprogramm. Nicht weniger als „Die Umwandlung der Erdoberfläche“ durch die Allgegenwärtigkeit von buntem Glas hatte Scheerbart kurz zuvor als Ziel in seinem Manifest Glasarchitektur verkündet. In der Umsetzung durch den Architekten Taut zeigte sich die Zukunft als Umwidmung sakraler Bauformen: der Pavillon als reanimierter Zentralbau, dem in der christlichen Baugeschichte durch die Abstammung von der Grabkapelle Jesus’ in Jerusalem die höchste Rangordnung zugeschrieben wird. Das bunte Glas, gefaltet über einem Rundbau, wer würde da nicht an die Glasfenster einer Kirche denken? Aber der Architekt geht noch einen Schritt weiter: Indem er sein Gebäude als riesiges Prisma, als ins gigantische vergrößerten Kristall entwirft, werden die Glasflächen gebrochen, das Licht blitzt und funkelt und es ist aufgrund der noch erhaltenen Aufnahmen des Pavillons wohl zulässig, sich die religiös grundierte Bauform zugleich als Jahrmarktspektakel vorzustellen. Wie ein ins räumliche erweitertes Kaleidoskop, wie der Vorläufer einer Diskokugel.

Schnitt.

Wien, die Anwaltskanzlei am Stephansplatz. Herwig Steiner hat sich nicht nur in die Nähe der Kirche begeben, ist nicht nur zu den bösen Verrenkungen des Rechts hinabgestiegen. Sein Kunstwerk steht auch in Korrespondenz zu einem Architekturdiskurs über das Glas, das farbige Glas, aber auch das Glas in Büroräumen, das Trennwandglas.
Wobei es ja, um bei dem farbigen Glas des Vorspanns zu bleiben, eigentlich gar kein farbiges Glas ist, das der Künstler durch die Kanzlei gespannt hat. Seine Technik ist viel jünger, ja man kann aufgrund der Schwierigkeiten im Produktionsprozess sogar sagen, dass hier Pionierarbeit geleistet wurde. Das verwendete Glas ist bedruckt. Aber nicht in der selben Weise bedruckt, wie das Architekten zu tun pflegen. Seit die Schweizer Architekten Herzog & de Meuron das Bedrucken von Glas als Ausdrucksform eingeführt haben mit der Sportanlage Pfaffenholz im französischen Saint-Louis (1989–1993), geht es in dem daran entflammten Diskurs um Fragen, die Herwig Steiner für sich entschieden beantwortet zu haben scheint. Die Durchsichtigkeit von Glas, der große Fetisch der bis auf’s Betonskelett abgemagerten Haut-und-Knochen-Architektur der Moderne, ist durch das Aufbringen von Farbe ja seiner Möglichkeit beraubt, den fließenden Raum, die Durchdringung von Innen und Außen (was noch so ein Fetisch ist) zuzulassen. Als Architekten anfingen, Glas als Gestaltungsfläche zu verwenden und damit zu akzeptieren, dass eine Scheibe eben nicht nichts ist, nahmen sie zuerst zaghaft, dann immer heftiger wieder das so verfemte Ornament zur Hand. Aufschrei in der Fachwelt, große Debatte. Warum nur hat bis heute niemand unter den Architekten das Glas so undurchsichtig dicht bedrucken lassen wie Steiner? Sich dem Ornament anzunähern, das bringt einem dem Ruf des Verruchten ein, verströmt ein wenig Fin-de-siècle-Dandytum, wurde doch um die Jahrhundertwende das Ornament vom Architekten und Kritiker Adolf Loos in seiner Berechtigung kritisiert, um nicht zu sagen: in die Nähe des Verbrechens gerückt. Das in kräftigen Farben bedruckte Glas hingegen, das in der Anwaltskanzlei verbaut wurde, greift viel weiter zurück, zu den Kirchenfenstern. Deren Aktualisierung Taut mit seinem Pavillon versucht hatte, aber es ist eine Sackgasse in der Entwicklung der modernen Architektur geblieben. Für Herwig Steiner mag die Nähe zum Stephansdom eine Rolle gespielt haben. Aber zugleich wird durch die Technik klargemacht, worum es hier geht: Hier wird nicht mit der Transparenz des Glases gespielt, sondern mit seinem Glanz, der die Paneele auf der einen Seite (der nicht bedruckten) wie frisch lackiert erscheinen lässt. Die magische Wirkung, die sich bei farbigem oder farbig hinterlegtem Glas einstellt, weil wir dieses Material fast ausschließlich aus dem Bereich des sakralen Bauens kennen, diese Wirkung ist umso stärker, da die Scheiben „blickdicht“ sind: Das Licht dringt hindurch, aber vom dahinter liegenden Raum ist nichts Konkretes zu erkennen. Beim Betreten der Kanzlei ist auf den ersten Blick nicht einmal klar zu entscheiden, ob die Glaswand überhaupt eine Raumabtrennung ist oder vielleicht doch ein Leuchtkasten, wie er von Künstlern wie Jeff Wall verwendet wird, um Fotografien zum Leuchten zu bringen. Diese Form der Hinterglasmalerei mit modernsten Mitteln macht aus der Kanzlei eine Kapelle, mit dem unüberlesbaren Stopphaken allerdings, dass die aufgebrachten Texte kaum geeignet sind, eine feierliche Stimmung aufkommen zu lassen.

Doch wer weiß? Im Alltagsgebrauch könnte die Schrift ja zum Ornament werden. Das Auge bekäme dann die Gelegenheit, zwischen den Zeilen zu lesen. Dort tobt die Farbe. Nur von Weitem betrachtet scheinen die Glasplatten von einer gestischen und trotzdem gegenstandsfreien Malerei beherrscht, die aus der Distanz vielleicht an Gerhard Richter erinnern mag. Wer näher tritt, entdeckt, dass hier kaum ein Pinselstrich gesetzt worden sein dürfte. Die Farbfelder zerfallen in kleinste, am Computer geschaffene Einzelflächen, die einen Bildraum erzeugen, der den Betrachter in die Tiefe zieht.
Das Auge derart spazieren zu führen, ist auch ein Statement zur Gattung der „Kunst am Arbeitsplatz“. Trennwände, so will es die neuere Arbeitsplatzideologie, sind eine „dritte Arbeitsebene“ (ergänzend zur Tischplatte und dem Computerschirm), die von den einschlägigen Herstellern mit Vorrichtungen zur Aufnahme von allerhand Ordnungssystem ausgestattet werden. Oder sie sind transparent, um die innerbetriebliche Kommunikation zu fördern. Die Trennwände der Anwaltskanzlei sind nichts von alledem, sie lenken vielleicht sogar ab und verlocken dazu, in den imaginären Bildräumen immer wieder herumzustreifen.

Oliver Elser, Leuchtendes Glas, in: Andreas Manak (Hg), Herwig Steiner, Gesetz und Verbrechen, Passagenverlag, Wien 2006

Paul Scheerbart created the rhyme “Das bunte Glas / Zerstört den Haß” (Colorful glass / makes hatred pass) for his friend, the architect Bruno Traut, who used it along with a number of other slogans from the poet’s pen to decorate the German glass industry’s pavilion at the 1914 Werkbund exhibition in Cologne. “Farbenglück nur/In der Glaskultur,” (Color-happiness pure / in glass culture) “Ohne einen Glaspalast / Ist das Leben eine Last” (Without a glass palace/life is a ballast) and a host of seemingly off-the-cuff childlike rhymes were meant to help the start of a new era in architecture take hold of the public. Colored glass, built onto a pavilion shaped like a bud, which likewise recalled a huge crystal: more than just a new architectural program was stirring here just months before the outbreak of World War I. Shortly before, in his manifesto Glasarchitektur, Scheerbart had announced no less than “the transformation of the earth’s surface” through the omnipresence of colored glass. In the architect Taut’s realizations, the future was revealed as a rededication of sacral building forms: the pavilion — ascribed with the highest rank in Christian building history due to its representation in Jesus’ mausoleum in Jerusalem — was reanimated as a central construct. Colored glass, folded over a round building, who wouldn’t think of a church’s glass windows? But the architect went one step further: by designing his building as a huge prism, as a gigantic, enlarged crystal, the glass surfaces are broken. The light flashes and sparkles and, based on preserved photographs of the pavilion it seems valid to imagine the religiously based building form as a carnival spectacle — like a kaleidoscope expanded to encompass three dimensions, like the precursor to

Cut.

Vienna, the law office on Stephansplatz. Herwig Steiner not only moved himself close to the church, he not only descended to the evil contortions of law: his artwork also corresponds to an architectural discourse about glass, colored glass, including glass in offices, partition glass.
Whereby, to remain with the colored glass of the introduction, it is actually not even colored glass that the artist has put up in the office. His technique is much newer, yes, it is even possible to say that, due to the difficulty of the production process, he has carried out pioneering work here. The glass used is printed. But it is not printed in the way that architects like to do it. After the Swiss architects Herzog & de Meuron introduced printing on glass as an expressive form with the sports complex Pfaffenholz in French Saint-Louis (1989–1993), the discourse that subsequently broke out has focused on issues that Herwig Steiner seems to have answered quite decisively for himself. Applying color robs glass’s transparency — the major fetish of modern skin-and-bones architecture, emaciated down to the concrete skeleton — of the possibility to permit the flowing room, the penetration of interior and exterior (which is another one of these fetishes). When architects began to use glass as a design surface and to thereby accept that a pane is, actually, not nothing, they began at first timidly, then ever more vehemently to again lay hand on the ostracized ornament. An outcry in the professional world and major debates ensued. Yet why haven’t any of the architects had the glass printed in such a thick, impenetrable way as Steiner has? Approaching the ornament, well, doing that will bring you a despicable reputation. It exudes a bit of fin-de-siècle dandyism; after all, at the turn of the century, architect and critic Adolf Loos critiqued the legitimacy of the ornament — actually, shifted it to present nearly a crime. However, the glass that is put up in the law office, printed in powerful colors, refers back to something much older: church windows. Taut’s attempt to update them with his pavilion remained a cul-de-sac in the development of modern architecture. For Herwig Steiner, perhaps the proximity to St. Stephen’s Cathedral played a role. But, at the same time, the technique makes clear what we are dealing with here: not only is the glass’s transparency played with, but also its shine, which allows the panels on the one side (which are not imprinted) to appear as though freshly painted. Since we know this material almost exclusively from the sacral realm, a magical effect arises with colored glass, or glass with color behind it, and this effect is made even more intense because the pane is “opaque”: the light penetrates it, but we cannot recognize anything concrete in the space lying beyond. Upon entering the office, at first glance it isn’t even clear whether the glass wall is a partition at all; perhaps it is a light box, like the kind used by artists such as Jeff Wall to illuminate photographs. This form of Hinterglasmalerei, (behind-glass painting, also sometimes called reverse glass painting), carried out with the most modern means, turns the office into a chapel, yet with a hitch that is impossible to overlook; the applied texts are hardly suitable for giving rise to a festive atmosphere.

But who knows? In everyday usage, the writing could become an ornament. The eye would then have the opportunity to read between the lines. There, color rages. Only from afar do the glass panes appear dominated by a gestural and nonetheless abstract painting, which from a distance perhaps recalls Gerhard Richter. Those who step closer discover that here, hardly a brushstroke could have been applied. The color fields decompose into the tiniest possible individual fields, created on a computer, generating a pictorial space that draws the beholder into the depths.
Leading the eye around like this also makes a statement about the genre of “art at the workplace.” According to the most recent workplace ideology, partitions are a “third working level” (supplementary to the desktop and computer screen), equipped by relevant manufacturers with devices for incorporating all types of ordering systems. Or they are transparent, to foster inner-company communication. The law office’s partitions are none of that; they are even perhaps a distraction, tempting one to roam around again and again in the pictorial spaces.

Translated by Dream Coordination Office (Lisa Rosenblatt und Charlotte Eckler)

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